4. Wiener Unternehmensrechtstag erklärt „Compliance“ zur Chefsache
Bereits zum vierten Mal fand am Montag, 28. September, der Wiener Unternehmensrechtstag statt. Im Fokus stand das Thema „Compliance“. Rund 200 Experten aus Recht und Wirtschaft analysierten unter der fachlichen Leitung von Univ.-Prof. Dr. Susanne Kalss (Wirtschaftsuniversität Wien) und Univ.-Prof. Dr. Ulrich Torggler (Universität Wien) die aktuellen Entwicklungen und deren Auswirkungen auf heimische Unternehmen. Die Tagung geht auf eine Initiative der B&C Privatstiftung zurück und fördert den Dialog zwischen Wissenschaft und Praxis zu aktuellen Fragen des Gesellschafts- und Unternehmensrechts. Das Thema Compliance beschäftigt Rechtsexperten und Unternehmer gleichermaßen. Komplexe Compliance-Regelwerke, strenge Antikorruptionsrichtlinien und Verhaltens-kodizes erhöhen die Anforderungen sowohl für die Unternehmen, Manager und Mitarbeiter als auch für die Rechtsprechung. Beim 4. Wiener Unternehmensrechtstag diskutierten und analysierten rund 200 Experten aus den Bereichen Recht und Wirtschaft die Bedeutung von Compliance aus gesellschaftsrechtlicher Sicht. Sie beleuchteten in diesem Zusammenhang das schwierige Verhältnis von Aufsichts- und Gesellschaftsrecht und diskutierten die Pflichten von Aufsichtsrat und Vorstand in der Gesellschaft sowie im Konzern bei der Umsetzung der Compliance-Maßnahmen.
„Der kritische Dialog zwischen Rechts- und Wirtschaftsexperten ist wichtiger denn je, um beim Thema Compliance die richtige Balance zwischen notwendigen Vorschriften und einer möglichen Überregulierung zu finden. Nur so ist für Unternehmen auch zukünftig eine effiziente Unternehmensführung möglich“, betonte Dr. Erich Hampel, Vorstandsvorsitzender der B&C Privatstiftung, zu Beginn des Unternehmensrechtstags.
Compliance als Chefsache
Aus gesellschaftsrechtlicher Sicht beinhaltet Compliance die grundlegende Gesetzestreue der unternehmerischen Tätigkeiten und Handlungen. Zugleich zählen dazu aber auch die nötigen Vorkehrungen, um Risiken und mögliche Gesetzesverstöße zu identifizieren. Dies ist wichtig, um bei der Erreichung der unternehmerischen Ziele unerwünschte Nebenwirkungen wie beispielsweise das Nichteinhalten von Umweltregelungen, unzulässige Provisionszahlungen, das Außerkraftsetzen von Arbeitszeitregelungen etc. zu unterlassen.
„Compliance ist Chefsache. Es besteht eine Gesamtverantwortung des Vorstands“, unterstrich Susanne Kalss (Wirtschaftsuniversität Wien) in ihrem Vortrag. Die konkrete Bewältigung von Nebenwirkungen ist eine unternehmerische Entscheidung, die unternehmerischem Ermessen unterliegt. „Die Nebenwirkungen sind nicht allein mit juristischen Instrumenten zu bewältigen. Bedeutender sind Commitment, positive Anreize, laufende Anstöße, Kontrollen und bei Verstößen auch Sanktionen seitens der Unternehmen“, so Kalss.
Doch in der Praxis ist das Zusammenspiel problematisch: Die konkrete Gestaltung der notwendigen Maßnahmen muss von den Unternehmen im Voraus festgelegt werden. Die verwaltungsstrafrechtliche Beurteilung erfolgt jedoch ex post und fällt daher selten positiv aus. So wird den im Unternehmen mit der Umsetzung beauftragten Personen eine kaum leistbare Verantwortung übertragen, es kommt zu einer Abschiebung der Verantwortung weg von den eigentlich zuständigen Leitungsorganen. Notwendig sei laut Kalss eine eigenständige gesellschaftsrechtliche Beurteilung. Diese werde zukünftig erleichtert, da zunehmend Verwaltungsstrafen auch gegenüber juristischen Personen verhängt werden können. Dabei betont Kalss aber: „Compliance darf nicht zum Selbstzweck werden. Vielfach werden Haftungsgefahren dramatisiert und überzogene Maßnahmen gesetzt.“ Angemessen seien Toleranz in kleinen Fällen, Sicherung der „goldenen Mitte“ und die Vermeidung schwerwiegender Verstöße. „Dies setzt konkrete Zieldefinition und Risikoanalyse sowie klare Linien im Großen und Toleranz und Sanierungsmöglichkeiten im Kleinen voraus.“
Branchenregulierung durch Spezialgesetze
Welche Auswirkungen das Fehlverhalten und Misstrauen in eine ganze Branche auf die Compliance-Regelungen hat, verdeutlichte Univ-.Prof. Dr. Katja Langenbucher (Goethe-Universität Frankfurt) am Beispiel der spezialgesetzlichen Regelungen für Banken. Hier kommt es zu einer Überlagerung zweier Rechtsbereiche. Das Aufsichtsrecht spielt in dieser Branche in viele Bereiche des Gesellschafts- und Aktienrechts wesentlich mit ein. So etwa bei der Vergütungspolitik, den Informationsrechten, dem Risikomanagement oder der Besetzung der Leitungsorgane. Die Rechtsexperten stehen hier vor der Aufgabe, die gesellschaftsrechtliche Umsetzung der aufsichtsrechtlichen Vorgaben zu meistern.
Compliance aus Sicht der FMA
Compliance und den Ablauf eines Prüfverfahren aus Sicht der Finanzmarktaufsicht (FMA) erläuterte Dr. Cecile Bervoets, stellv. Leiterin Compliance der FMA, in ihrem Vortrag. Bervoets unterstrich, dass Compliance wichtige Funktionen zur Stärkung einer guten Unternehmensführung erfülle, besonders durch die Beratungs- und Informationsfunktion sowie die Schutzfunktion. Dabei übernimmt die FMA zum einen die börsengesetzliche Compliance-Aufsicht („Emittenten-Compliance“) und zum anderen die Wertpapier-Compliance-Aufsicht für fast 1.000 Unternehmen aus den Bereichen Kreditinstitute, Emittenten, Versicherungsunternehmen und Pensionskassen. Auch Bervoets hob hervor, dass aufgrund der stetig wachsenden Bedeutung Compliance Chefsache und der „tone from the top“ maßgeblich sei. Da die Regularien auch in Zukunft weiter ausgeweitet würden, sei ein qualifizierter und unabhängiger Compliance-Beauftragter, der sowohl mit allen Befugnissen (Einsichts-, Auskunfts-, Zutrittsrechte) als auch mit den notwendigen personellen, technischen und finanziellen Ressourcen ausgestattet ist, unabdingbar.
Compliance als Herausforderung für Konzernleitung
Die Frage, wie man Compliance im Konzern umsetzen kann und muss, erläuterte Univ.-Prof. Dr. Alexander Schopper (Universität Innsbruck). Grundsätzlich gelte im österreichischen Konzernrecht das Trennungsprinzip: Trotz einheitlicher Leitung bleiben die in einem Konzern verbundenen Gesellschaften rechtlich selbstständig. Der Vorstand der abhängigen Gesellschaft hat diese in eigener Verantwortung zu leiten und ist dabei weisungsunabhängig. Gesellschaftsrechtlich ist eine konzernweite Compliance-Organisation keine Pflicht, da die Legalitätspflicht der Einzelgesellschaften Teil der Sorgfaltspflicht des jeweiligen Vorstandes ist. Das Aktiengesetz begründet keine starre Konzernleitungspflicht und auch keine starre Pflicht zur konzernweiten Compliance. Demgegenüber stehen ausdrückliche Anordnungen (z. B. Corporate Governance Kodex), sondergesetzliche Anordnungen (z. B. für Kreditinstitute), die Konzernhaftung im europäischen Kartellrecht und der Schutz des Eigeninteresses der Konzernobergesellschaft vor mittelbarem und unmittelbarem Schaden durch die Tochtergesellschaften. Hieraus entsteht für die Geschäftsleitung der Konzernobergesellschaft sehr wohl die Pflicht, vorzusorgen sowie die (ausländischen) Tochtergesellschaften zu kontrollieren und zu überwachen. Die dafür benötigte Compliance-Organisation im Konzern müsse unter Beachtung der Verhältnismäßigkeit auf den Konzern angepasst werden. Ist der Compliance-Aufwand nach gebotener Kosten-Nutzen-Analyse unverhältnismäßig groß oder sind die Non-Compliance-Risiken unbeher-rschbar, sollte darüber nachgedacht werden, auf das Geschäftsfeld gänzlich zu verzichten. Die Herausforderung bleibt letztendlich die Durchsetzung der Compliance durch die Konzernobergesellschaft gegenüber den Tochtergesellschaften.
Aufsichtsrat bei Compliance in der Pflicht
Univ.-Prof. Dr. Markus Roth (Universität Marburg) hob die Pflichten des Aufsichtsrats bei Compliance hervor. Grundsätzlich hat der Aufsichtsrat – und insbesondere der Prüfungsausschuss – die Geschäftsführung auf Rechtmäßigkeit und Zweckmäßigkeit zu überprüfen. Dabei beschränkt sich die Überprüfung nicht auf den Vorstand, es sind zudem auch die Angestellten der Gesellschaft in den Überwachungsauftrag des Aufsichtsrats einbezogen. Bei großen Gesellschaften wird das Kontrollorgan regelmäßig, bei mittleren häufig zur Einrichtung eines Compliance-Systems raten. Dem Vorstand kommt bei der Einrichtung und Ausgestaltung des Compliance-Systems grundsätzlich ein Ermessensspielraum zu. Rechtstatsächlich werden die Ergebnisse der internen Revision bei großen deutschen Aktiengesellschaften (DAX und MDAX) mit dem Aufsichtsrat erörtert. Der Aufsichtsrat ist nach allgemeinem Aktienrecht also befugt, auch direkt beim Leiter der internen Revision Auskünfte – auch über Compliance – einzuholen. Empfehlenswert sei es ebenso, den Compliance-Verantwortlichen mit Zustimmung des Aufsichtsrates zu ernennen. Erscheint es für die Außenwirkung hilfreich, ist eine Bestellung des Leiters der Compliance direkt durch den Aufsichtsrat oder einen unabhängig besetzten Aufsichtsratsausschuss denkbar. Hierfür bedarf es aber einer Vereinbarung mit dem Vorstand. Dieser muss sich mit dem Prozedere, nicht aber mit der konkreten Person einverstanden erklären.
Compliance im Spannungsfeld zwischen Regulierung und unternehmerischer Freiheit
Zum Abschluss des Unternehmensrechtstags fasste Univ.-Prof. Dr. Ulrich Torggler in seinen „kritischen Anmerkungen zur Legalitätspflicht des Vorstands“ wichtige Punkte der Tagung noch einmal zusammen. Er zog einen Bogen durch das rechtliche und unternehmerische Spannungsfeld, in dem sich Compliance bewegt. Gesetzliche Regelungen haben ihre Berechtigung, aber es müsse darauf geachtet werden, dass das unternehmerische Ermessen des Vorstands nicht durch ein richterliches ersetzt werde. Richter seien keine Manager und nicht für die Führung und den Erfolg eines Unternehmens zuständig. Zudem gelte es, die Gefahr von Rückschaufehlern bei der Bewertung von Compliance zu bannen. Nach dem Maßstab der Vertretbarkeit erscheint eine Teilung zwischen Ob und Wie sinnvoll und erforderlich. Nicht auf allem, was Compliance sei, müsse Compliance draufstehen. Und nicht auf allem, wo Compliance draufstehe, sei Compliance drin.
Erfolgreiches Forum für Rechts- und Wirtschaftsexperten
Der vierte Wiener Unternehmensrechtstag überzeugte mit seinem Vortragsangebot und spannenden Diskussionen die anwesenden Experten aus Recht und Wirtschaft. Gesehen wurden u.a.: Philip Aumüllner (Industriellenvereinigung), Peter Doralt (Wirtschaftsuniversität Wien), Peter Franke (Raiffeisen Zentralbank Österreich AG), Karin Fürnsinn (Unicredit Bank Austria AG), Angelika Gruber-Marin (Verbund AG), Michael Hauer (Erste Group Bank AG), Katharina Herdenfeldt (Siemens AG Österreich), Alexander Hochmair (ÖBB Holding AG), Stefan Keznickl (Bundesverwaltungsgericht), Claudia Klier (Österreichische Nationalbank), Michael Knap (IVA Interessenverband für Anleger), Georg Schima (Kunz Schima Wallentin Rechtsanwälte), Brigitta Schwarzer (Inara), Eberhardt Vetter (Luther Rechtsanwaltsgesellschaft mbH), Erna Wachtler (Vienna Insurance Group).
Der fünfte Wiener Unternehmensrechtstag findet am 17. Oktober 2016 an der Universität Wien statt.
Über die B&C-Gruppe
Seit ihrer Gründung vor 15 Jahren verfolgt die B&C Privatstiftung (www.bcprivatstiftung.at) das Ziel der langfristigen Förderung des österreichischen Unternehmertums und des Wirtschaftsstandortes Österreich. Mittels der B&C Industrieholding (www.bcholding.at) übernimmt die B&C die Aufgaben eines langfristigen, stabilen österreichischen Kernaktionärs in österreichischen Industrieunternehmen. Sie übt ihre Aktionärsrechte verantwortungsvoll im Interesse des jeweiligen Unternehmens aus und gibt den Unternehmen damit langfristige Planungssicherheit und eine stabile Eigentümerstruktur. Die B&C leistet so einen wesentlichen Beitrag zum unternehmerischen Erfolg ihrer Kernbeteiligungen und fördert den Wirtschaftsstandort Österreich. Die B&C Gruppe hält derzeit Mehrheitsbeteiligungen an der Lenzing AG, der Semperit AG sowie der AMAG Austria Metall AG.
01.10.2015